Tagungsbericht zum Westfälischen Tag der Kleinen Gattung

GruppenbildGibt es einen westfälischen Aphorismus? Zumindest gibt es, in Vergangenheit und Gegenwart, westfälische Aphoristiker/innen genug, um sie in Literatur oder in Person an einem Tag zusammenzuführen. Schon deshalb war der Westfälische Tag der Kleinen Gattung, wie er durch das ambitionierte Gesamtprojekt „literaturland westfalen“ von der LWL-Kulturstiftung angestoßen und vom Förderverein des Deutschen Aphorismus-Archivs (DAphA) nach einjähriger Vorarbeit jetzt durchgeführt wurde, ein kleines Ereignis.

Die Kulturdezernentin der Stadt Hattingen, Beate Schiffer, begrüßte die fünfzehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter Autoren, Aphorismusfreunde und -sammler,  und wies auf die Bedeutung von DAphA für Stadt und Region hin.
Beate Schiffer

Beate Schiffer

Sie zitierte aus dem Empfehlungsschreiben des Projekträgers, des Westfälischen Literaturbüros Unna: „Das Deutsche Aphorismus-Archiv ist ein echtes Aushängeschild für die Kultur in Westfalen.“

Friedemann Spicker zeigte in einem historischen Überblick zu Autoren wie Johann Georg Hamann (1730-1788), Karl Immermann (1796-1840), Peter Hille (1854–1904), Ernst Meister (1911-1979), Liselotte Rauner (1920-2005), Helmut Arntzen (geb. 1931) und Hugo Ernst Käufer (geb. 1927), dass sich im regionalen Ausschnitt des westfälischen Aphorismus die großen literarisch-politisch markierten Epochen der Literaturgeschichte sowie Tendenzen der allgemeinen deutschen Gattungsgeschichte im verkleinerten Maßstab abbilden.
Spicker

Dr. Friedemann Spicker

Jürgen Wilbert stellte in ausgewählten Proben 27 Autoren und Autorinnen der Jahrgänge 1926-1981 in fünf Generationsgruppen vor, darunter auch als einer der ältesten der namhafte Münsteraner Aphoristiker Helmut Arntzen (Jahrgang 1931), der am Vormittag anwesend war. Wolfgang Wittmann (Gitarre) und Robert Scholtes (E-Piano) boten wieder einmal mit ihren Eigenkompositionen den passenden musikalischen Rahmen dazu.
J. Wilbert

Dr. Jürgen Wilbert

Eine Feststellung und eine Frage bestimmten die Diskussion, die sich nach der Mittagspause daran anschloss. An die religiöse Linie der Lebenshilfeliteratur, die sich in vielerlei Schattierungen durch den westfälischen Aphorismus zieht (selbst in Autoren wie Hille und Meister als bei früheren Aphoristikertreffen ist sie zu erkennen), ist heute nicht mehr anzuknüpfen. Die Kernfrage stellte sich somit – nicht anders wie bei den vorangegangenen Aphoristikertreffen – : Wie ist im Aphorismus Zeitlosigkeit zu erreichen (was eindeutig auf Formfragen verwies)?

In dem Workshop, der sich nahtlos anschloss, diskutierten die Teilnehmer/innen drei Themen. Zur Vermarktung gab es einen regen Ideenaustausch; einig war man darin, dass eine Verbindung von Wort und Bild oder Musik anzustreben sei.

SONY DSCIntuition und Handwerk bildeten die Pole im zweiten Teil der Diskussion, die sich der Entstehung des Aphorismus zuwandte. Eine Tagebuchnotiz Rudolf Hartungs bildete hier den glücklich gewählten Initialtext. Er spricht von einer „produktiven Beziehung zwischen zwei Begriffen“ und einem „Zustand von Anspannung und schon ziellosem Schweifen“, aus dem sich „plötzlich“ der Aphorismus ergebe. Im Anschluss daran standen zunächst die unbewussten Anteile an der literarischen Produktion im Vordergrund und im weiteren Verlauf – damit war man nicht weit von Mautners altem Begriffspaar Einfall und Klärung entfernt – unter der Fragestellung, wann denn ein Aphorismus „fertig“ sei, die Probleme des „Schleifens“, des endgültigen Formens. Auch der Vergleich mit einer Inkubationszeit wie bei jedem kreativen Prozess wurde gezogen. Eine dritte Gesprächsrunde thematisierte, an den Beginn anknüpfend, Fragen der Präsentation. Die Bandbreite der Vorschläge reichte von Aphorismen auf Visitenkarten, Textschachteln in Automaten über plakative Außenwerbung bis hin zum Apho-Rap oder -Slam.

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Der späte Nachmittag war den Lesungen der anwesenden Autoren / Autorinnen im Museumscafé vorbehalten, der Abend in einer öffentlichen Veranstaltung im Veranstaltungsraum dem Kabarettisten Matthias Reuter aus Oberhausen, der sich in Text und Musik dem (Krisen-)Herdenwesen Mensch widmete. Kann man sich tatsächlich vor Lachen biegen? Man muss das bejahen, wenn man sein Publikum bei den Liedern von der Schwarmintelligenz und den Nachwuchssorgen und insbesondere bei der Erzählung „Korso“ beobachtete, in der ein Leichen- wagen mit einem lebendigen „Toten“ nach einem gewonnenen WM-Spiel den Autokorso anführt.

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Matthias Reuter

Die WAZ Hattingen vom 22.4. resümiert: „Augenzwinkernde Unterhaltung mit Wortwitz und Musik: Klavier-Kabarettist Matthias Reuter … begeistert sein Publikum beim Westfälischen Tag des Aphorismus.“ Genaueste Beobachtung der Alltagssprache („Ist Pferd im Rind?“) und treffsichere Pointierung: das verband den kabarettistischen Abend mit dem gesamten Tag der Kleinen Gattung, den man in aller gebotenen Bescheidenheit als eine gelungene Premiere bezeichnen kann. DAphA bereitet die Dokumention vor: historischer Überblick, Anthologie, Biobibliographie.

Den Artikel der WAZ vom 21.4. finden Sie hier.

Einen Tagungsbericht aus Teilnehmersicht (von Helmut Peters) ist ebenfalls veröffentlicht.

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Presseschau zum Regionaltreffen

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Büchertisch mit Neuerscheinungen im Universitätsverlag Brockmeyer

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